Loch oder Löcher

Das Institut für Slawistik und Kaukasusstudien der Friedrich-Schiller-Universität Jena lud zu einem Wochen-Workshop mit dem wirklich sehr akademischen Titel Literarische Verarbeitungen von Kriegs- und Gewalterfahrungen und ihre Übersetzung. Deutschland und das ehemalige Jugoslawien im Dialog, das ähnlich wie der Vice-versa-Workshop in Straelen funktionierte: Studenten aus beiden Richtungen treffen sich, um gemeinsam und mit den geladenen Autoren und Übersetzerinnen Texte zu besprechen. Und abends dann ab aufs Sofa zur Lesung …

Von links nach rechts: Roman Simić, Željana Tunić, Prof. Dr. Andrea Meyer-Fraatz

… respektive das Publikum auf harte Stühle in Zuschauerreihen. Donnerstagnachmittag saß ich im Seminarraum auf dem heißen Stuhl, wurde von rund dreißig neugierigen jungen Menschen zu meiner Übersetzung von Roman Simićs Erzählband Von all den unglaublichen Dingen befragt. Vormittags hatten sie ein paar Absätze der ersten Erzählung, „Füchse“, übersetzt und dabei u.a. einen Plural entdeckt, der in meiner Übersetzung zum Singular geworden war. Warum? Ich dachte zuerst, ich hätte das Bild nicht richtig erfasst, gemeint waren wohl Krater in der Hauswand von den umherfliegenden Teilen einer Granate, die in dem fraglichen Absatz im Hof explodiert war, dann hätte es Einschläge oder so was in der Richtung heißen müssen. Jetzt, da ich mir die Stelle noch einmal durchlese, denke ich, ich bin eher wegen dem, was auf diese Stelle folgt, auf den Singular gekommen: Das Haus war verloren, nicht mehr bewohnbar, und das kann nicht an ein paar Löchern im Putz liegen, das muss schon was Gröberes sein. Stillschweigendes Lektorat? Keine Ahnung. Auch die kroatischen Kollegen ändern öfter mal den Numerus von Hauptwörtern, erfuhr ich in der Straelener Übersetzerwerkstatt, das hängt demnach mit der Art zusammen, wie die jeweiligen Sprachen funktionieren – „gleichmütig wie die Löcher im Haus“ geht jedenfalls gar nicht, ein Pullover oder eine Wolldecke haben Löcher, Straßen bestenfalls Schlaglöcher, Häuser Einschlaglöcher oder Lokusse, aber das war wieder was anderes.

Es ist müßig, das im Einzelnen aufzudröseln. Was mir nur wieder einmal ein wenig bitter aufstößt, ist die Komplexität, die fast jede übersetzerische Entscheidung bedingt und schwer vermittelbar ist: Übersetzungen sind die Summe vieler Fisseligkeiten, die darzustellen und zu erklären unglaublich dröge und sturzlangweilig ist. Was für eine Kunst!!

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