Crefeld – Colourfield
Am Samstag, den 31. August 2019, 18 Uhr wurde die gleichnamige Ausstellung von >Friederike Graben in der Krefelder Fabrik Heeder eröffnet, im >Atelier Pförtnerloge, dessen Parkettboden die Kölner Künstlerin als Gleichnis für den Stadtplan des alten Crefeld aufgriff und mit einerseits bunten, andererseits weißen Häusern aus Steckkarten überbaute.
Im Folgenden meine Rede über die Installation, die ich aus diesem Anlass schrieb und hielt:
Heute Abend hier
Ich freue mich, heute Abend hier sprechen zu dürfen, Sie alle heute Abend hier begrüßen zu dürfen, Ihnen heute Abend hier ein paar Takte zu der Installation sagen zu dürfen, mit der Friederike Graben ab heute einen guten Monat lang die Pförtnerloge der Fabrik Heeder bespielt.
Ich habe es mir gewünscht, heute Abend hier über Friederike Grabens Arbeit sprechen zu dürfen, ich habe mich tatsächlich darum gerissen, denn es war und ist mir ein inneres Bedürfnis, über die Installation zu reden, die die Malerin Ihnen heute Abend hier erstmalig präsentiert. Und das hat mehrere Gründe.
Der erste Grund, die allem voran geforderte Voraussetzung, ohne die ein solches Bedürfnis undenkbar wäre, ist natürlich die Wertschätzung, die ich Friederike Grabens Arbeit in ihren vielfältigen Ausprägungen seit Jahren, genauer: seit über einem Jahrzehnt entgegenbringe.
Der zweite Grund ist die Vorgeschichte, die die heute Abend hier eröffnete Ausstellung in eine Linie zu zwei früheren Installationen stellt. Beide Installationen waren in Berlin zu sehen, beide drehten sich um das Thema urbaner Raum, und an beiden war ich in der einen oder anderen Form beteiligt. Für die erste Installation stellte ich die Ausstellungsfläche und einen Teil des Materials zur Verfügung, die zweite war eine Gemeinschaftsarbeit von Friederike und mir. Die erste hieß Die bleiche Stadt zeigt Farbe: Kalte, weiß eingeschlagene Buchtürme drängten sich im Zentrum des Arbeitszimmers mit vereinzelten Rot-, Gelb-, Blau- und Grüntupfern dazwischen (von Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielfiguren und meiner Pfeffermühle), aber an den Wänden der weißen Regale, aus denen die zweckentfremdeten Bücher heimatvertrieben worden waren, tummelten sich farbenfrohe Aquarelle. Die Beschreibung verrät, wie ähnlich Friederikes damaliger Ansatz dem der Installation hier vor Ihnen ist. Gleichwohl lassen die Bilder von damals noch erkennen, dass aus einem fast identischen Ansatz eine völlig andere Anmutung und Wirkung hervorging.
Die zweite der Vorläuferinstallationen, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte, hieß Häuser + Gestalten, und dass die Häuser nicht von mir sein konnten, ist nach dem bisher Gesagten eigentlich schon klar. Friederike Grabens Häuser bestanden aus Pappe, waren selbstredend weiß getüncht und mit ein paar äußerst sparsam eingesetzten Farbakzenten versehen. Sie passten gut zu meinen Gestalten, die auf ihren Armierungseisen in Kopfhöhe schwebten, denn auch die Häuschen standen auf langen, schwächlichen Leisten und waren trotzdem standfest. Die Beschreibung setzt wieder den Akzent auf den Gegensatz von weiß und farbig.
Trotzdem ist dieser Weiß-Bunt-Kontrast nicht unbedingt typisch für Friederike Grabens Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum insgesamt. Zum Beispiel in ihren von einer New-York-Reise inspirierten Linienbildern – um es mal so unbeholfen auszudrücken – spielt er keine Rolle, die New-York-Bilder sind, wenn ich das mal so respektlos herunterbrechen darf, „nur“ bunt. Nein, der verbindende Faden, um den sich ihre Arbeiten drehen, ist (soweit ich es überblicken kann) der Raum selbst, das Sichüberlagern, Sichdurchdringen von Räumen, das Neben-, Hinter-, Vor- und Untereinander von Farbflächen, kurz, die räumliche Wirkung von Farbflächen. Formal gesehen fragt sie in ihren Arbeiten, was eine Oberfläche als Oberfläche kenntlich macht, was einen Raum als Raum charakterisiert, was für verschiedene Raumformen typisch ist, wie räumliche Wechselwirkungen entstehen und was sie bewirken.
Der dritte Grund schließlich, die für heute Abend hier unabdingbare Voraussetzung, ohne die ich mich eher nicht zu dieser Rede gedrängt gefühlt hätte, ist ein sonniger Sonntag Ende Mai 2018, an dem ich mit lädiertem Knie und drei angeknacksten Rippen auf Friederikes Balkon im Liegestuhl rekonvaleszierte und gleichzeitig Hebamme spielte, also eine Art sokratische Hebamme, um jegliches Missverständnis zu vermeiden, also ich fragte, wie war das noch mal mit Krefeld, da hattest du doch so ne Idee?, konnte die Antwort nicht so recht nachvollziehen und fragte weiter und fragte nach und fragte, Steilfalte zwischen den Brauen inklusive, nochmal nach und dachte mich mit aller Muße, die einem so ein lädiertes Knie und drei angeknackste Rippen schenken, in Friederikes Idee einer weiß-bunten Postkartenstadt nach dem Motto quadratisch – praktisch – gut hinein. Ihr war die Idee klar, und zwar so klar, dass sie schlicht nicht mehr merkte, wie viel Wissen sich in ihr bei der Entwicklung ihrer Idee angesammelt hatte. Es hat gedauert, bis sie mit dem ja nun alles andere als unwesentlichen Bezug auf den Crefelder Stadtplan des Herrn Vagedes um die Ecke kam oder das farbenfrohe Geschäft mit der Seidenweberei erwähnte, die in Krefeld eine lange Tradition hat. Aber nicht nur objektives Faktenwissen hatte sich in Friederike angesammelt. Vor allem hatte sie sich im Vorfeld intensiv mit dem Zusammenspiel von abstrakter Malerei und Fotografie befasst, mit künstlerischen Interventionen auf Postkarten, mit Abfolgen von derart bearbeiteten Urlaubsgrüßen, Abfolgen etwa in Form von Leporellos oder in Form von Streifenarrangements. Berge von Postkarten musste sie bearbeitet haben, bevor die Idee zu der Arbeit, die ich Ihnen heute Abend hier vorstellen darf, in ihr zündete. All das wollte erst einmal erinnert und dann noch erzählt und gezeigt sein, bevor ich ihre Idee nachvollziehen konnte. Und so mäanderten wir an jenem sonnigen Sonntag Ende Mai 2018 auf einem Kölner Balkon gemächlich auf den Titel der Ausstellung zu, die heute Abend hier eröffnet wird: Crefeld Colourfield. Crefeld mit C, versteht sich.
Obdach, Kälte, Zuflucht, architektonische Strenge, Mensch ärgere dich nicht, Gedränge, lautes, buntes Leben, Leben nach Plan – so würde ich das Themenfeld urbaner Raum im Kontext der Installation umreißen, die Sie sich heute Abend hier aus der Nähe und von allen Seiten und dann einen guten Monat lang durchs Guckfenster anschauen können. Das Parkett eines nachrangigen Arbeitsplatzes in einem Industriebau aus Krefelds besseren Zeiten gab den Anstoß. Postkarten aus dem privaten Umfeld spielten, wie geschildert, eine Rolle. Eine Reminiszenz an die Kindheit mischte sich ein, die Erinnerung an das Steckkartenspiel von Charles Eames im elterlichen Haushalt. Weiteres kommt hinzu, denn Kunst entsteht immer aus vielem und löst vieles aus, während sich die Worte darüber immer auf einige wenige Aspekte konzentrieren müssen. Und die vielen Ingredienzien und Anstöße, die in Friederike Graben zu der ab heute Abend hier gezeigten Installation heranreiften, ordneten sich keineswegs von selbst in ihre langjährige Beschäftigung mit dem Thema Stadt ein.
In der Stadt treffen privater und öffentlicher Raum nicht selten mit brachialer Gewalt aufeinander. Wenn einem wie im Wuppertaler Stadtteil Vohwinkel die Schwebebahn quasi durchs Wohnzimmer fährt, die Punks am Berliner Alexanderplatz ihre Schlafsäcke ausrollen und liebevoll mit ihren Kampfhunden teilen, im Restaurant die beiden Frauen am Nebentisch die Misshelligkeiten mit ihrem letzten Lover in allen intimen Details durchhecheln, Sprayer ihre ganz persönliche Meinung an Hauswände schmieren, betrunkene Herren sich ungeniert trotz anderer Passanten in Unterführungen erleichtern, wachsen einem neutral riechende, kühl-abweisende Fassaden plötzlich ans Herz. Gerade in Metropolregionen sollten wir nicht unterschätzen, wie wichtig Orte sind, die vor der privaten Vereinnahmung gefeit sind, die nicht unter der Kakophonie sich wechselseitig negierender Individualitäten leiden. Weiße Fassaden sind wie unbeschriebene Blätter, liefern uns Projektionsflächen eigener Wünsche, eigener Vorstellungswelten. Projektionen kommen sich nicht ins Gehege, gestaltete Äußerungen hingegen zwingen uns die Auseinandersetzung damit auf – oder, wenn sie überhand nehmen, die Abstumpfung. Es ist wohl die Frage nach dem Maß. Klar, die völlig entindivudalisierte Stadt wäre steril und würde uns mehr als selbst der durchdringendste Geruch nach Pisse stinken.
Der Ausweg aus dem Dilemma zwischen weißer, wohltuender Unpersönlichkeit und der Wärme des bunten Lebens, der goldene Mittelweg, das zeigt uns Friederike Graben heute Abend hier, ist die Postkarte. Denn Postkarten sind wie Balkone oder Veranden: Eigentlich privat, faktisch öffentlich. Menschen brauchen solche Räume, die weder ganz das eine noch ganz das andere sind, die vielmehr beides unverbindlich verbinden. Postkarten sind oder vielmehr waren Traumräume oder Übergangszonen oder Gleitfelder auf halbem Weg zwischen Standardäußerung und persönlicher Mitteilung. In Zeiten von Selfies und sozialen Netzwerken sind Postkarten allerdings ein Auslaufmodell und selbst zur nostalgischen Reminiszenz geworden. Sie sind vielleicht zu kitschig, um ihnen nachzutrauern. Aber vielleicht werden wir sie doch vermissen, wenn es keine mehr zu kaufen gibt.
Wie gesagt: Worte über Kunst können immer nur einzelne Aspekte herausgreifen. Es ließe sich vieles sagen, nichts würde je ein Kunstwerk auf den Punkt bringen. Wenn doch, wäre es die längste Zeit Kunstwerk gewesen. Insofern überlasse ich Sie nun Ihren eigenen Entdeckungen im geordneten Chaos von Crefeld Colourfield und bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.