Ruth oder Ruta?
Zur Buchmesse 2019 erschien meine jüngste Übersetzung eines Jergović-Romans: Ruth Tannenbaum. Das Original, bereits 2006 erstveröffentlicht, heißt Ruta Tannenbaum. Die Übersetzung war, bei einem so produktiven Schriftsteller wie Jergović m.E. verzeihlich, überfällig, geht es doch um den Holocaust in Zagreb, der ohne die deutsche „Schutzmacht“ nicht denkbar gewesen wäre. Miljenko Jergović setzt damit >Lea Deutsch ein Denkmal, gefeierter Kinderstar am Kroatischen Nationaltheater, die nach Einführung der Rassegesetze im >Unabhängigen Staat Kroatien nicht mehr auftreten durfte und schließlich auf dem Transport nach Auschwitz starb. Heute ist der Jahrestag der Befreiung des Lagers, das sie nie erreicht hat.
Im heutigen Übersetzen ist es üblich, die Namen so zu übernehmen, wie sie in der Ausgangssprache geschrieben (oder, im Fall von Transkriptionen wie etwa aus dem Russischen, gesprochen) werden. Einzige Ausnahme sind in der Regel sprechende Namen. Aber auch in diesem Fall habe ich nur ganz kurz geschwankt: Hier ist die in Deutschland übliche Form des jüdischen Vornamens Ruth die richtige Entscheidung. Ruta und dann auch noch in Kombination mit Tannenbaum, was an Knecht Ruprecht mit seiner Rute denken lässt, würde dem Thema des Romans nicht gerecht.
Die Arbeit an der Übersetzung war eine Qual. Nicht weil der Roman furchtbar wäre, im Gegenteil: Weil Jergović mit schonungsloser Präzision die Mechanismen der menschlichen Seele beschreibt und Figuren entwickelt, die, auch wenn sie später Opfer werden, deswegen noch lange keine guten Menschen sind, sondern in ihrer Gewinn- und Gefallsucht geradezu unmenschliche Züge an den Tag legen, weil er die inneren Vorgänge minutiös nachvollzieht, mit denen sich die Täter ihre Taten zurechtbiegen und schönreden, um vor sich selbst gut dazustehen, weil er die Brutalität der Morde detailliert ausführt, die ein unter anderen Umständen gerecht handelnder Mensch begeht, war schwer auszuhalten, was ich da auf dem Tisch hatte. Vielleicht habe ich deswegen nicht gleich in diesem Blog über das Erscheinen berichtet.
Inzwischen sind viele Rezensionen erschienen, die – wie ich – den Roman dem lesenden Publikum dringend empfehlen. Und vermutlich, ich habe da einfach nicht die nötige Distanz, liest er sich auch richtig gut und überhaupt nicht oder nur wenn man darüber ins Grübeln kommt quälend – denn Jergović versteht sein Handwerk. Meisterlich.