Boris Buden: Der Schacht von Babel (III)

Vorbemerkung: Die Idee, sämtliche Referenzen wegzulassen, setzt voraus, dass Buden eine These durchargumentiert. In diesem Sinn habe ich die Widersprüche zwischen den Positionen der Gewährsleute, teilweise sogar innerhalb der Entwicklung eines Gewährsmanns (W. Benjamin) glattgebügelt. Ich komme darauf zurück.

Wie bereits in I und II: Im Folgenden ist lediglich, was in Klammern steht, von mir, alles andere reines Referat von Budens Buch mit meinen Worten (und, natürlich, meinen Missverständnissen).

Reprise von Teil II: Das Original verlor zunächst über die Zeitschiene seine normative Kraft, angesichts der Veränderung von Rezeption, Ausgangs- und Zielsprache berührt es die Übersetzung nur noch tangential und ist ansonsten sich selbst und der Sprache verpflichtet, die über die Einzelsprachen hinaus deren Zusammenhalt und Übersetzbarkeit ineinander gewährleistet. Im nächsten Schritt wurde die Autorität des Originals mit dem Werkbegriff ausgehebelt: Texte sind nie in sich abgeschlossen, selbst wenn der Leser für sich eine Totalität erkennt, bleibt diese kontingent. Damit erscheint die Übersetzung ihrerseits als Original, verbindet sie doch eine eigene Vielfalt von Bedeutungsschichten zu einem Text, in dem das Original fortlebt und den der Leser als Totalität interpretieren kann, aber nicht muss.

Der metaphorische Gebrauch des Übersetzungsbegriffs in der Psychoanalyse stellt die Frage nach dem, was eigentlich übersetzt wird, noch schärfer. Der Patient erzählt von seinen Problemen, der Analytiker gibt ihm Anstöße zu einer Reinterpretation der Ursachen seiner Leiden, die im Fall einer Heilung einer geglückten (Rück-)Übersetzung entspricht (das Problem ist nur: von was?). Dies in gesamtgesellschaftliche Dimensionen hochgerechnet führte in der Tat zu einer sprunghaft ansteigenden Emanzipation.

Schluss von 3.: Das letzte Echo des Originals verhallt

Übersetzung in die Übersetzung, von Original zu Original – die Sache dreht sich im Kreis, weil Sprache ein in sich geschlossenes Referenzsystem ist, gesellschaftliche Realität und subjektives Erleben sind untrennbar. Es gibt nicht die gültige Zuordnung von Ausdruck und objektiver Entsprechung, die Sprache trägt sich selbst, hat kein Fundament. Am Anfang jedes menschlichen Spracherwerbs stehen Entfremdung (weil die Bezugsperson sie mit der Sprache weitergibt) und Verdrängung (weil menschliche Gesellschaften auf der Fähigkeit beruhen, Genuss aufzuschieben, und dafür vorsprachliche Tabus aufbaut). Der Text des Lebens wie Texte überhaupt haben keine ursprüngliche Bedeutung, es gibt nur mehr oder weniger sinnvolle Interpretationen, aber nicht einmal das Maß von deren Sinnhaftigkeit liegt in unserer Gewalt. (Nebenbei bemerkt: Nur so lässt sich m.E. menschliche Freiheit denken – bedingt, aber ohne Vorgabe.)

4. Politik und Kultur der Übersetzung: postkoloniale Übersetzungskonzepte

Wenn eine Kultur eine andere unterwirft, betrifft das auch die jeweils beteiligten Sprachen. (Viele afrikanische Autoren, die aufgrund der Vielsprachigkeit Afrikas ohnehin in einer linguistisch hybriden Umgebung aufwachsen, schreiben mangels Alternative in der Sprache der Kolonialherren und z.T. in von diesen übernommenen literarischen Formen, ich meine v.a. den Roman.) Das Dilemma von Autoren, die aufgrund der Umstände in der Sprache der Eroberer schreiben, führt zu mehrsprachigen Texten (die Herkunftssprache eingeschrieben in die Sprache des Kolonialherren), die der Leser zu übersetzen verstehen muss.

Gleichzeitig zerfällt der universale Anspruch einer Weltliteratur à la Goethe zu Staub. Die Suche nach einem global gültigen Kanon erweist sich als eurozentristische Illusion. Gehört alles zur Weltliteratur, was jenseits des Entstehungskontextes repiziert wird, vorzugsweise natürlich in Übersetzungen? Dann würde die Rezeption der Herkunftskultur in den Vordergrund treten, es besteht die Gefahr, Literatur auf ethnisch-nationale Aspekte zu reduzieren. Dieser Gefahr ließe sich nur mit einem erneuerten Verständnis des die Menschheit Verbindenden bannen.

Arbeiten am heimischen Schreibtisch unter einem Bild von Friederike Graben
Arbeiten am heimischen Schreibtisch unter einem Bild von Friederike Graben

Anders ausgedrückt: Begriffe wie Weltliteratur und Menschenrechte kommen aus einer bestimmten Kultur und sind von deren Begriff des Allgemeinen, Universalen nicht zu trennen. Will man nicht in die Partikularität und ggf. kriegerische Konkurrenz vieler Kulturen abgleiten, müsste ein überkultureller Begriff des Universalen gefunden und allgemein akzeptiert werden. Heißt das, wir müssen u.U. lernen, Demokratie und Beschneidungsverbot als imperiale Machtinstrumente zu verstehen? Wie lässt sich Reziprozität im globalen Diskurs herstellen? (Schon wegen der Anzahl der Beteiligten ein utopisches Projekt.)

Der Versuch, unterschiedliche Kulturen als solche zu würdigen, scheitert, sobald man sie in die Schubladen Erste-, Zweite- und Dritte-Welt-Literatur steckt. Vor allem für die Dritte-Welt-Literatur stellt der wohlwollende Literaturkritiker aus ErsteWelt damit den Aspekt der Befreiung von den Kolonialherren und der Selbstfindung als eigenständiges Land in den Vordergrund und kommt zu der (schizophrenen) Haltung, dort zu würdigen, was er zu Hause verabscheut: den Nationalismus, und merkt dabei nicht mal, dass auch der Nationalismus ein europäisches, in die ehemaligen Kolonien exportiertes (dysfunktionales!) Konzept ist. Die angeblich objektive Beschreibung wirkt auf die Auswahl der „relevanten“ Texte zurück: Was dem Kriterium nation building nicht entspricht, fällt durchs Raster, wird nicht rezepiert, wird nicht übersetzt. Denn immer noch läuft wegen der wirtschaftlichen Bedingungen mehr oder weniger alles über das Nadelör der westlichen Metropolen oder die vom Westen eingerichteten und mit Personal bestückten wissenschaftlichen Institutionen.

Das Interesse an ökonomischen Zusammenhängen wurden nach 1968, um den politischen Widerstand zu bändigen, auf theoretische Streitfragen gelenkt, der Poststrukturalismus betrat die Bühne, Textanalyse und Lesen galten als politische Tätigkeit, die marxistische Interpretation als eine von vielen, und selbst von Vertretern der postkolonialen Theorie wurde der Diskurs über Dritte-Welt-Literatur von gesellschaftlichen Ursachen und Entstehungsbedingungen abgekoppelt. Doch weder Literatur noch kulturelle Übersetzung bieten einen Ausweg aus Verelendung und kapitalistischer Zerstörung.

Es sei denn, wirtschaftlich-politische Zusammenhänge und sogar das Leben selbst werden als Übersetzungsvorgänge – Geld in Ware, Kohle in Strom, Kalorien in Energie usw. – erklärt, bei denen immer was schief gehen kann. So ist die Übersetzung von Arbeitskraft in Lohn oder die der Aufklärung in imperiale Machtansprüche oder die von Marxens Ideen an Übersetzungsfehlern gescheitert. Heute erleben wir statt der kommunistischen Internationale eine Globalisierung unter neoliberalen Vorzeichen. Deren Gleichmacherei hängt mit der „begrenzten Durchlässigkeit (restricted permeability) der kulturellen und linguistischen Übersetzung“ (S. 127) zusammen.

Übersetzer erfahren in einzigartiger Weise die Singularität des übersetzen Textes und müssen sich damit auseinandersetzen. Ein engagierter Übersetzer von nicht-westlicher Literatur erfährt daraus Dinge, die seine Solidarität wecken/fördern und ihm gleichzeitig vor Augen führen, dass er den Kampf nicht für die Unterdrückten führen kann, das müssten diese selbst tun. Niemand kann denen, die keine Stimme haben, die eigene leihen. Die einzige mögliche Form des Engagements ist Liebe, die die Lücken der politischen Aktion füllen soll. (Wie? Wozu?)

An den Rand gedrängt und eigener Entscheidungsbefugnisse beraubt sein heißt unübersetzbar sein, jede Übersetzung würde die Marginalisierung zementieren und die Betroffenen noch weiter von der internationalen Entwicklung abhängen. Heute beherrschen zunehmend übernationale Akteure die Welt (Konzerne, Finanzmärkte) und schränken die Wirksamkeit der nationalstaatlich organisierten Gegenspieler stark ein. Wer diese Zusammenhänge verstehen und richtig übersetzen will, muss seinerseits in geopolitischen Kategorien denken, in denen einzelne Länder Puzzleteile des Ganzen sind. Das gilt auch für den Übersetzer von Literatur, will er nicht Gefahr laufen, dem Ausgangstext Gewalt anzutun. Er sollte daher genau hinschauen, wie der Ausgangstext die Figuren durch die Sprache entwickelt, also auf dessen rhetorische Strategie einlassen und sich darüber einen Weg ins Original und dessen sozialen und kulturellen Kontext „bahnen“ (146) – für einsprachig aufgewachsene und in monolingualer Umgebung beheimatete Übersetzer eine extreme Herausforderung.

(Womit ich dieses Experiment neuerlich wegen anstehender Reisen unterbreche.)

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