Lesen: Ein Fest
Der Verband der Literaturübersetzer, kurz VdÜ, hat zu jeder Jahreszeit einen stehenden Termin, bei dem „man“ sich trifft: im Herbst die Frankfurter Buchmesse, im Winter die Mitgliederversammlung, im Frühjahr die Leipziger Buchmesse und im Sommer die Jahrestagung. Auf der bin ich heute, sie findet seit 14 Jahren in Wolfenbüttel statt, es ist so romantisch, pittoresk, lauschig, liebevoll restauriert, überschaubar und unsere bunte Truppe willkommen im Städtchen.
Ich stehe nach Begrüßungsreden und Eröffnungsvortrag, nach dem trubeligen Abendessen beim Chinesen am Bahnhof (200 Übersetzer eine Schlange vorm heißen Stein …) vor Schünemanns Mühle und sehe aufs Wasser, die Spiegelungen, die Ruhe, die sommerliche Wärme. Hinter mir umtriebige Geschäftigkeit, in wenigen Minuten beginnt das Lesefest.
Auf vier Bühnen, verteilt auf vier Etagen, mit je einem Moderator/einer Moderatorin, stellen je vier Übersetzer je eine Viertelstunde lang ihre Übersetzungen vor. Insgesamt 16 kurze Auftritte. Mitwirkende wie Zuschauer: allesamt Kollegen. Hier ein paar Impressionen.
Und danach brüllen alle gegen den Mühlbach an, die Bar ist geöffnet, und wer steht hinterm Tresen? Natürlich: Kollegen. Mitternacht gibts Schwelmer Wurst, Brot, wie es heute eigentlich gar nicht mehr gebacken wird, und Käse – mitgebracht von einem Kollegen: Thomas Gunkel. Wein und Bier fließen, wenn auch deutlich geräuschärmer und in kleineren Mengen als die Oker, die sich unter unseren Füßen rund zwei Meter in die Tiefe stürzt, wegen eines Mühlrads, das längst verfault sein dürfte. Erst wenn es wieder hell wird und die Vögel anfangen zu zwitschern, gehen die letzten, in diesem wie in jedem Jahr. Es gibt so viel zu erzählen, auch vom Übersetzen!