Starkult und Wermutstropfen
Graz, München, Ulm: Miljenko Jergović war drei Tage für Lesungen unterwegs, eine davon durfte ich moderieren, die in Schwabing bei Lehmkuhl. Draußen Biergartenwetter, der erste bilderbuchschöne Frühsommertag des Jahres. Trotzdem mussten die Buchhändler noch zusätzliche Stühle holen, so groß war der Andrang, darunter viele, die aus jenem ehemaligen Land kommen und mit Jergovićs Figuren das Fremdlingsein, das Kofferkinder- oder auch Kuferaschentum teilen. Das höre ich nicht nur aus dem Stimmengewirr vor und nach der Veranstaltung, ich merke es an den Reaktionen während der Gesprächspassagen eines solchen Abends: Ein starkes Drittel des Publikums lacht, wenn Jergović etwas Witziges sagt, alle andern, wenn ich es übersetzt habe.
Die Lesepassagen hab ich im Wesentlichen nach drei Kriterien ausgewählt: 1. Keine Wiederholung (ich habe zuvor schon Veranstaltungen zu Die unerhörte Geschichte meiner Familie mit Miljenko moderiert und gedolmetscht), 2. Abgeschlossenheit, also Abschnitte, die, obwohl mittenraus gepickt, in sich verständlich auf eine Pointe als natürlichen Schlusspunkt hinlaufen, und 3. ein roter Faden, für diesmal, dass jeder Abschnitt Auskunft gibt über Jergovićs Poetologie. „Verräterische Erzählungen“, eins der Quartette, eignet sich zudem gut, um abwechselnd erst das kroatische Original und dann die deutsche Übersetzung zu lesen und den jeweiligen Duktus im unmittelbaren Vergleich zu hören. „Der Weg durch Verzweiflung und Wut“ enthält neben der Reflexion über die, die den Mut zum Handeln haben, und jene, die Geschichten schreiben können, einen Ausblick auf die Literatur in den bevorstehenden Zeiten der Entalphabetisierung und eine ziemlich interessante Definition von Lüge, und der dritte, ein Auszug aus dem „Bienentagebuch“, illustriert und rechtfertigt Jergovićs finessenreiche Kunst, vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen und den Leser temporeich auf einen Höllentrip zu schicken.
Für mich als Urheberin des deutschen Textes geht so eine Lesung nie ohne Wermutstropfen ab – mir fallen eigene Versäumnisse auf. Diesmal unter anderem, dass ich in „Verräterische Erzählungen“ das Tempus nicht sauber durchgezogen habe. Warum das so schwer ist, darüber lohnte wohl auch ein Blogeintrag.
Am strahlend sonnigen nächsten Morgen (und ich schreibe das in Offenbach, während der Regen an die Fensterscheibe klatscht) sind wir, der Autor und seine Übersetzerin, zu Fuß durch den Englischen Garten zum Zug spaziert, ab Odeonsplatz die letzten Meter mit dem Taxi, und kurz bevor wir uns verabschieden wird er von einem jungen Paar in seiner Sprache angesprochen, sie wollen sich unbedingt gegenseitig mit ihm fotografieren – er ist ein Star (da könnte so mancher Fußballer vor Neid erblassen, hätte der doch die Stollenschuhe in dem Alter schon längst an den Nagel hängen müssen), spielt das Spiel, berühmt zu sein, amüsiert mit, die zwei freuen sich königlich über den unverhofften Zufall, sind sichtlich aufgeregt, froh und glücklich.