Novi Zagreb

Ein regnerischer Sonntag, mit der Tram Richtung Süden über die Save bis Endhaltestelle Zapruđe* gefahren. Die Fahrkarte kostet im Zehnerheftchen 4 Kuna und gilt eine halbe Stunde, es gibt keine Zonen, was das Problem mit den kurzen, aber über eine Zonengrenze führenden Strecken löst. Eine Endhaltestelle wie im Niemandsland, durchadert von vierspurigen Autoschneisen, gewaltige Wohnblocks, viel Rasen. Ein Neubau, unten sieht er nach Bauruine aus, oben wirkt er fertig. Autohäuser, ein Supermarkt. Zapruđe, Utrina, Travno, von der Fläche her sind das eher Kieze als Viertel, umfassen zwei, drei Straßenzüge, nur haben die Häuser gut und gern zwanzig, dreißig Stockwerke. Es sind auf dem Reißbrett geplante Schlafstädte, alle in den 1960er Jahren hochgezogen, die Infrastruktur ist so lala, immerhin ein Kulturzentrum, eine Stadtbücherei, ein Café, ein paar Kneipen, Lebensmittelläden, Supermärkte, eine Post. Schwimmbad und Kirche samt Pfarrhaus sind ganz offensichtlich erst vor kurzem dazugekommen, ein Minigolfplatz rottet vor sich hin. Neu-Zagreb liegt in einem Bogen, den die Save hier gegen Nord macht; bevor die Stadt hier ankam, war das alles Sumpfland oder zumindest Feuchtwiesen. So monströs die Bauten im Geist der damaligen Zeit sind – es hat etwas. Wohnungen beginnen frühestens ab der ersten Etage, unten sind Versorgungsräume und Garagen, in der ersten Etage manchmal Geschäfte und sonstige Einrichtungen. Früher wahrscheinlich von Unternehmen Mitarbeitern zugeteilt und übereignet, heute Eigentumswohnungen, jeder hat nach eigenem Gusto renoviert oder auch nicht, Balkone verglast oder auch nicht, neue Fenster eingebaut oder auch nicht, so dass die Fassaden bei näherer Betrachtung sehr abwechslungsreich sind, mit vielen individuellen Akzenten. Diese Viertel wurden aus dem Boden gestampft, aber das ist ein halbes Jahrhundert her, sie haben Patina angesetzt, und auf den großzügigen Grünflächen dazwischen sind die Bäume längst groß und stark. Na ja, nicht alle.

Travno
Travno

Ich lande – wo sonst – in einem Café, überwiegend – wer sonst – ältere Frauen, die Preise deutlich niedriger als im Zentrum, auch das nicht überraschend. Die Cremeschnitten haben poetische Namen wie „Japanischer Wind“, der Kaffee ist richtig gut, und am Nachbartisch ein Paar, der Mann redet wirr, die Frau schaut mich öfter an, sagt irgendwann halblaut „Demencija“, ja, sage ich, kenn ich aus meiner Familie; ich würde sie gern trösten, aber mehr als freundlich lächeln und mit der Uhrzeit aushelfen fällt mir nicht ein. Das ganz normale Elend dieser Welt, da sitzt es neben mir. Die beiden gehen kurz nach mir, jetzt ist sie wieder in der Wohnung irgendwo im fünften oder fünfundzwanzigsten Stock mit dem Mann eingesperrt und sehnt sich nach einem vernünftigen oder wenigstens normalen Gespräch.

* In Zapruđe beginnt der Roman Freelander von Miljenko Jergović, deswegen wollte ich mir das ansehen. Bin aber aus Unkenntnis durch Utrina und Travno gelaufen, gibt sich nicht viel, denke ich.

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