Triester Trester, Grappa, Loza und tote Tutoren
Soll man Fremdes eingemeinden? Als Literaturübersetzerin stehe ich permanent vor der Frage, wie viel Fremdes ein Text verträgt. Wie ich die Frage beantworte, hängt unter anderem von der Textsorte oder vielleicht eher dem literarischen Anspruch eines Textes ab. Eine ganz grobe Richtlinie wäre Folgende: Ein bereits in der Ausgangssprache schwer verständlicher Text verträgt in der Regel in der Übersetzung mehr Fremdheit, weil er sowieso eher von Menschen gelesen wird, die bereit sind, in das Erschließen des Gelesenen einige Mühe zu stecken. Unterhaltungsliteratur verträgt kaum Fremdes, weil Fremdes eo ipso nicht auf Anhieb verständlich ist, man einen Krimi oder eine Liebesschmonzette aber ohne groß nachzudenken wegfuttern will. Zu dieser Richtlinie gibt es, sobald man genauer hinschaut, jede Menge Ausnahmen und Wenns und Abers.
Selbst bei literarisch anspruchsvollen Büchern sind dem Fremden im deutschen Text enge Grenzen gesetzt. Andererseits bräuchte man nicht aus Fremdsprachen übersetzen, wenn man alles Fremde eindeutscht. Übersetzen heißt so gesehen entscheiden, auf welches Fremde es in dem jeweils anstehenden Werk ankommt. Im Extremfall kann diese Entscheidung bedeuten, dass der Wortlaut der Übersetzung keine Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Originals aufweist und die Übersetzung trotzdem richtig ist.
Diese Behauptung – bestimmte Schwierigkeiten im Übersetzungsprozess zwingen uns zu einem abweichenden Wortlaut, um das Original abbilden zu können – werden wir im Workshop überprüfen. Und wir werden überlegen, wie man trotzdem inhaltlich am Original bleibt. Ich werde mich dabei auf zwei Gruppen von Schwierigkeiten – Klangfiguren und Kulturunterschiede – konzentrieren und beide ausschließlich an deutschen Beispielen verdeutlichen, bzw. wir werden uns die meisten Beispiele, so der Plan, während des Workshops erarbeiten. Ich möchte Ihnen einen kleinen Einblick in die Prozesse vermitteln, die beim Übersetzen ablaufen, und Selbermachen vermittelt schlicht den besten Einblick.
Was hat es also mit Klangfiguren auf sich? In Triester Trester steckt mehr als eine Klangfigur. Betrachten wir zunächst das Schriftbild: Beide Worte unterscheiden sich durch ein i. Durch dieses i ist Triester dreisilbig, während Trester zwei Silben hat. Deswegen unterscheiden sie sich metrisch: Triester ist ein Daktylus, Trester ein Jambus. Beide Wortfüße sind im Deutschen sehr geläufig und damit unauffällig. Überlegungen wie diese können je nach Kontext für die übersetzerische Entscheidung den Ausschlag geben.
Durch die identische letzte Silbe reimt sich Triester auf Trester. Reime fallen immer auf und sie bestimmen den Textfluss, also das Tempo, wie wir ihn lesen. Reime muss man unbedingt bewusst einsetzen, weil dieses Stilmittel extrem störend sein kann. Ein alter rhetorischer Grundsatz verlangt, dass man in einem Prosatext niemals reimen darf. Ein Reimschema wie Triester Trester ist davon ausgenommen: weil der Reim unmittelbar folgt, setzt man beim Lesen keine Zäsur. Triester Trester plätschert an unseren Ohren vorbei. Sobald die Worte etwas weiter auseinanderstehen: „Der Triester trinkt gern Trester“, entsteht ein Rhythmus, der Reim teilt den Satz in zwei Verse.
In dem Roman, für den ich hier eingeladen bin, Die Tutoren von Bora Ćosić, gibt es längere gereimte Passagen, nicht in Gedichtform, sondern fortlaufend, weil laut Bora Ćosić jedes serbische Dorf seinen Dorfdeppen hat, der stets in Reimen spricht. Im Workshop schauen wir uns einen Auszug daraus an und werden als kleine praktische Fingerübung zwei, drei ultrakurze Passagen aus einem anderen Teil des Romans in die gereimte Form bringen.
Das Auffälligste an Triester Trester sind aber wohl die beiden gleichlautenden Anfangsbuchstaben, die doppelte Alliteration. Dieses Stilmittel wird oft verwendet, etwa in der Werbung, und kann ziemlich nerven. „Im Traum traut Esther dem traurigen Triester Trestertester“ übertreibt es mit den Alliterationen definitiv und geht schon in Richtung Zungenbrecher, die oft über Alliterationen funktionieren, denken Sie nur an Fischers Fritze. Sparsam dosiert ist Alliteration aber ein die Aufmerksamkeit sanft fesselndes Schmuckelement. Tote Tutoren ist natürlich auch eine Alliteration.
Zu allen rhetorischen Klangfiguren wären vergleichbare Überlegungen anzustellen. Im Gegensatz zu Stilmitteln, die auf der Sinnebene funktionieren, kann man Lautspielereien nicht ohne weiteres von einer Sprache in die andere übertragen. Hier ist man beim Übersetzen gefordert, Lösungsstrategien zu entwickeln. Je mehr ein Text in der Ausgangssprache mit lautlichen Mitteln arbeitet, desto größer der Spagat, um sowohl Sinn und Inhalt als auch die stilistische Durcharbeitung in die Zielsprache herüberzuretten. Es sei denn, Klang- oder Schriftbild hätten sich verselbstständigt: Kurt Schwitters Ursonate oder Morgensterns Fisches Nachtgesang übersetzt man nicht.
Der zweite Teil soll in einem doppelten Sinn kultureller Differenz gewidmet sein. Sehen wir uns dafür noch einmal Triester Trester an.
Triester Trester heißt soviel wie Schnaps von Rückständen der Weinherstellung aus Triest. Es gab tatsächlich einen Tresterschnaps aus Triest, den Grappa di Julia, doch der Produzent verlegte den Firmensitz 2009 nach Mailand und lagerte die Produktion 2012 nach Tschechien aus, die Globalisierung lässt grüßen. Triest hat keine nennenswerten Destillerien mehr. Auch solche Hintergrundinformationen können für die Übersetzung entscheidend sein.
Für Trester sagt man in Triest Grappa und in Teilen des untergegangenen Landes, das bis 1991 an Italien grenzte, heißt das Getränk Lozovača oder kurz Loza. Trester, Grappa und Loza sind mithin ein und dasselbe. Wenn in einem kroatischen oder serbischen Text Loza zu übersetzen ist, böten sich im Deutschen wahlweise Tresterbrand, Tresterschnaps oder Trester an. Allerdings bestellen wir im Restaurant keinen Trester, sondern einen Grappa, und das nicht nur, wenn wir zum Italiener Essen gehen. Ein paralleles Phänomen haben wir übrigens beim Ruccola, irgendwie ist die deutsche Rauke bei der Renaissance von dem Grünzeug auf der Strecke geblieben, und es ließen sich sehr viele andere Beispiele finden.
Damit haben wir drei Optionen, um Loza zu übersetzen: 1. das deutsche Wort, 2. das in Deutschland übliche Wort, 3. das Wort in der Ausgangssprache lassen, das geht unter bestimmten Voraussetzungen sehr gut, und man könnte es ja darauf anlegen, dass Loza im Deutschen genauso üblich wird wie Grappa. 4. kann es fallweise vorkommen, dass sich ein österreichischer Ausdruck anbietet, das wäre in dem Fall Trebern. Wars das oder sind weitere Optionen denkbar? Und für welche entscheidet man sich warum? Diesen Fragen würde ich gern mit Ihnen nachgehen.
Wenn dann noch Zeit bleibt, läge mir ein übergeordneter Aspekt der kulturellen Differenz am Herzen. Er versteckt sich in den toten Tutoren im Titel meines Vortrags und ist ganz zentral für Bora Ćosićs Die Tutoren. Das eigentliche Thema des Romans ist die Sprache, die mit uns ihren Schabernack treibt. Über achthundert Seiten lang beleuchtet er, wie wir von der Sprache bevormundet werden. Schon der Spracherwerb ist so angelegt, dass Kinder nachplappern, was Erwachsene reden. Das Nachdenken über die Bedeutung setzt viel später ein, wenn überhaupt, und womöglich haben wir da längst irreversible Entscheidungen fürs Leben getroffen, die auf Missverständnissen beruhen. Ćosić dekliniert das enge Korsett aus grammatischen Regeln, Redekonventionen, unzähligen Selbstverständlichkeiten, Sprachschablonen, vorgegebenen Bedeutungen und so weiter durch, in das wir uns zwängen müssen, sobald wir mit Sprache arbeiten. Nicht einmal unsere Muttersprache passt also differenzlos zu uns. Hilft am Ende das Übersetzen, diesen eklatanten Missstand abzumildern? Ich bezweifle, dass wir darauf eine Antwort finden, aber ich bin sicher, dass es hier wie so oft eher aufs Fragen ankommt.